Reflections

Nicht gelebte Leben: Etappen, Wege, Lebensschleifen

Susanne

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Mein großer Traum war es, Indianerin zu werden. Was? Magst Du Dich fragen – und ich kann Dir jetzt auch nicht erklären, was da los gewesen ist. Aber im Fernseher hat das irgendwie immer richtig ausgesehen. Zelte, Gemeinschaft, Natur, Wölfe zähmen, Pferde-Akrobatik. Und das alles auf der richtigen Seite der Geschichte.

Mein Traum platzte, als ich sechs war. Meine Oma teilte mir mit, dass ich übrigens keine Indianerin werden könnte. Rein biologisch nicht. Und nein, auch nicht Halbblut Apanatschi. Ich glaube nicht, dass sie gewusst hat, wie sehr das mein sechsjähriges Ich und meine damit zusammenhängende Lebensplanung getroffen hat.

Dass sie objektiv recht hatte, war mir in dem Alter reichlich egal. Ebenso, dass meine romantische Fernseh-Vorstellung mit dem realen Leben Indigener wenig gemeinsam hatte, und zwar schon vorm flächendeckenden Einfall der europäischen Eroberer. Oder auch, dass es bei weitem nicht nur um Nord-Amerika geht. Und das „Indianer“ sowieso nicht korrekt ist. Und dass ich mir mal meiner weißen Privilegien bewusst werden sollte.

Indianerin oder Olympiasiegerin? Unerwartetes Nein

Etwa zur gleichen Zeit platzte auch ein Traum, den ich eigentlich gar nicht hatte. DDR-Scouts waren auf der Suche nach den nächsten zukünftigen Olympiasiegerinnen, in dem Fall im Bereich Turnen. Für mein Alter war ich klein genug, ansonsten zwar nicht kräftig, aber gelenkig. (Muskelkraft kann man trainieren, Gelenkigkeit dagegen stößt irgendwann an die individuell angelegten strukturellen Grenzen.)

Ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang ich davon erfahren habe, aber: Ich gehörte zu den Auserwählten. Also, hätte zu den Auserwählten gehört. Meine Mama sagte nein. Vielleicht hat auch mein Papa nein gesagt. Aber ich erinnere mich nur daran, dass ich meiner Mama große Vorwürfe machte. Ich war auserwählt – und sie hat mich nicht gelassen. Natürlich war das die richtige Entscheidung. Aber was wusste mein Vorschul-Ich schon von DDR-Leistungssport.

Von Biochemie zu Anti-Mafia-Anwältin: Die Suche nach der Berufung

Lange hatte ich dann auf die Frage, was ich einmal werden will, keine rechte Antwort. Ich hab „Die Söhne der Großen Bärin“ verschlungen (und Band 6, den letzten der Serie, im Ferienlager vergessen. Bis heute hab ich ein schlechtes Gewissen, es waren die Bücher meines Papas). Ich hab Eiskunstlauf im Fernsehen geschaut (Turnen nicht so sehr), und natürlich alle Zirkus-Sendungen (echter Zirkus war mir zu nah dran).

In der 9. Klasse dann hatte ich einen neuen Plan. Biochemikerin wollte ich werden und ein Mittel gegen Krebs finden. Meine beiden Omas waren an Krebs gestorben, ein Opa schon als ich sehr klein war. Und überhaupt kam mir das wie ein hehres Ziel vor. Und ist es ja auch. Nur dass mich Bio und Chemie letztlich doch nicht wirklich interessiert haben.

Später kamen „Die Akte“ und „Die Firma“ groß raus. Ich hab natürlich die Bücher gelesen, nicht die Filme geschaut (jedenfalls erstmal nicht). Investigativ-Journalistin oder Anti-Mafia-Anwältin. Ach was, warum „oder“. Meine Deutsch-Noten waren nie gut. Nicht dass Rechtschreibung oder Grammatik ein Problem gewesen wären. Aber meine Aufsätze haben nicht gefallen. Scheinbar bin ich nicht für jede:n.

Weil ich sowieso nicht Indianerin werden konnte…

Die Jura-Frage allerdings hat mich noch eine Weile begleitet. Ich hatte eine Zulassung fürs Jura-Studium an einer Berliner Uni. Und hab auch noch zwei Semester später Post bekommen, dass ich nach wie vor in den Studiengang einsteigen könnte. Ich hatte mich nur persönlich anders entschieden. Einerseits. Und wollte mich inhaltlich nicht so richtig festlegen, andererseits.

Der Liebe wegen ging ich nach Dresden. Und weil ich sowieso nicht Indianerin werden konnte… Das heißt: Ich hab sogar Alt-Amerikanistik im Vorlesungsverzeichnis gefunden. Ungefähr eine Sekunde habe ich ernsthaft darüber nachgedacht. Ich hatte nur nicht genug Phantasie, was mit einem solchen Abschluss die Berufsperspektiven wären.

Weil ich also sowieso nicht Indianerin werden konnte und der Berufsperspektive Alt-Amerikanistin nicht getraut habe, ist es letztlich Wirtschaftsingenieurwesen geworden. Schwerpunkt Medizinische Gerätetechnik, und Gesundheitsökonomie. Also: Ich wusste mal, wie man zu welchem Krankheitsbild einen Herzschrittmacher korrekt einstellt. Und ich konnte Herrn Lauterbach, damals noch permanent mit Fliege, schon nicht leiden, als es noch um die Anfänge der Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte ging.

Schluss mit Geradeaus

Ein Kind, eine zerbrochene Liebe, einen Berlin-Umzug und mehrere Attac-Broschüren später stand fest: Wirtschaftsingeneurin werde ich nicht. Ich pflege zu sagen: Dieses Studium habe ich erfolgreich abgebrochen. Weil das lustiger klingt. Weil ich mich damit arrangiert habe. Weil ich später andere Abschlüsse gemacht habe. Weil Geld verdienen ohnehin wenig an den konkreten Studiums-Inhalten und mehr an den verdienten Zetteln hängt.

Wiederum etwa zeitgleich habe ich mich an einem Partei-Versuch beteiligt. Es ist nichts draus geworden. Also, die heutige Partei DieLinke. Ich war in der Ost-Fraktion des Westablegers. Es schrieb mal jemand: Es steht sich gut zwischen allen Stühlen. Nun ja.

Nach meiner Erinnerung ging es insbesondere den Bach runter, als Oskar Lafontaine dazu stieß. Bevor aus zwei Parteien eine wurde, war unser Ortsverband in Berlin-Lichtenberg der erste, der auf einen Antritt in der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 verzichtet hat. Das Direkt-Mandat der PDS wollten wir nicht gefährden.

Der Berliner Landesverband entschied sich im Jahr darauf nur knapp für einen eigenständigen Antritt zur Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl gegen die damalige PDS. Im Wahlkreis von Harald Wolf habe ich als Direktkandidatin erfolgreich 5% der Stimmen geholt. Was natürlich nichts geändert hat.

Jetzt hätte ich gern eine Kampagne für eine wählbare Linkspartei. Nach dem Ausscheiden von Sarah Wagenknecht und ihren Anhänger:innen gibt es dazu vielleicht sogar eine gewisse Chance. Nur irgendwo eintreten – das hat sich erst einmal erledigt.

Das Projekt habe ich vor geraumer Zeit verlassen. Enttäuscht, desillusioniert, aber dennoch mit der festen Überzeugung, dass eine andere Welt möglich sein muss. Und dass wir die Einzigen sind, die Veränderungen herbeiführen können: Niemand wird kommen, um uns zu retten.

Leichter gesagt als getan. Ob es ein Haus für politische Projekte war, ein Magazin für politische Analysen, oder ein Online-Portal für politische Nachrichten, meine weiteren Versuche brachten erst einmal nur weitere Enttäuschung und Desillusionierung. Aber auf dem Weg wurde mir klar: Mit der Veränderung wird es nichts werden, wenn wir unter uns mit Konflikten nicht konstruktiv zurecht kommen. Und zwar ganz besonders im Zusammenhang mit allen Weltverbesserungs-Bestrebungen.

Doch gelebte Leben

Im Anschluss an die Politik-Versuche habe ich nach den Trümmern meiner akademischen Karriere geschaut. Vorsichtshalber im Fernstudium. Damit es zum Leben und zum Nebenbei passt. Politikwissenschaften abgewählt, ebenso Philosophie und Kulturwissenschaften (also, angefangen und wieder aufgehört. Manchmal mehrfach). Bildungswissenschaft ist es letztlich geworden. Nur für den Master sollte es nochmal „was Richtiges“ sein. Koordiniertes Bücher-Lesen geht ja auch ohne Uni-Abindung. (Insbesondere, wenn man mit seinem Liebsten + dessen umfangreicher Bibliothek zusammenlebt.)

Bildungswissenschaft und Informatik sind beides keine nicht gelebten Leben. Siehe https://susero.cc Die Krise kam nur zwischendurch mit den Corona-Lockdowns. Als die Bildungseinrichtungen, für die ich als Guide freiberuflich arbeite, von einem Tag auf den anderen geschlossen hatten. Und man schlecht das ganze Leben im Computer verbringen kann. Im allerletzten Lockdown war klar, es muss eine neue Perspektive her. Ich habe zurück, nach vorn, und durch die Gegend geblickt – und hängen geblieben bin ich bei der Idee zur Yoga-Ausbildung.

Fast wäre es anders gekommen. Jedenfalls erstmal. Ausbildungen zwar abgeschlossen. Aber dann war der Schwangerschaftstest positiv. Und dann war zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels klar, dass das nichts wird. Wie sehr ich erschrocken war, dass ich körperlich überhaupt nicht wusste, was da auf mich zukommt mit so einer Fehlgeburt. Aber das wird irgendwann ein anderes Thema. Ich habe lange gebraucht, mich wieder aufzurappeln. Nur um den nächsten positiven Test in den Händen zu halten. Und die nächste Fehlgeburt hinter mich bringen zu müssen. Wie gesagt: das wird mal ein anderes Thema.

Wo sich nun das aktuelle Jahr dem Ende neigt, ist es Zeit, Pläne zu machen fürs kommende. Es ist ja nicht immer so, dass es nur an unserer Entscheidung liegt, wie es weiter geht. Aber es ist auch nicht so, als ob wir gar nichts zu entscheiden hätten. Sehr sehr hübsch zum Nachdenken finde ich die Goal Getter Workbooks von Leonie Dawson. Eine Aufgabe dort ist das Erstellen eines Dreamboards fürs nächste Jahr. Meines für 2024 ist so ausgefallen:

Falls in Deinem Leben gerade alles drunter und drüber geht, falls Du den Eindruck hast, dass sich gar nichts nach Deinen Wünschen und Bedürfnissen richtet, ist übrigens nach meiner Erfahrung Yoga genau das Richtige. Dem eigenen Körper etwas Gutes tun, und zugleich zu mehr innerer Ruhe finden, Kraft schöpfen für die allgemeinen Herausforderungen und eben auch für die eigenen Vorhaben. Wieder Platz zum Träumen haben. Probier‘s gern mal aus!

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